
Lanas Atem ging stoßweise. Ihr Puls raste, und ihre Sicht war verschwommen. Das Einzige, was sie erkennen konnte, war die Farbe der Statusanzeigen in ihrem Head-up-Display, die mittlerweile in einem bedrohlichen Orangerot leuchteten. Begleitet wurde das Ganze von einem schrillen Pfeifen ihres Anzugalarms. Hin und wieder übertönten monotone automatische Ansagen den kreischenden Lärm, um sie auf den sinkenden CO2-Partialdruck in ihrem Blut sowie eine Sauerstoffunterversorgung ihres Gehirns hinzuweisen.
„Jetzt beruhigen Sie sich mal, Doc“, erklang eine raue Stimme aus ihren Helmlautsprechern. „Kein Grund zur Panik. Wir haben das doch geübt!“
Die Stimme trug jedoch keinesfalls zu Lanas Beruhigung bei – ganz im Gegenteil. Nicht genug, dass Captain Landor sie gezwungen hatte, in einen Raumanzug zu steigen, um eine feindliche Raumsonde zu hacken. Zu allem Überfluss hatte ihr der Captain Sergeant Ruiz als Aufpasser an die Seite gestellt. Von sämtlichen an Bord befindlichen Marines musste es ausgerechnet dieser sein! Der Mann, mit dem Lana an dem schicksalhaften Wochenende vor ihrem Aufbruch heftig geflirtet hatte. Und der Zeuge ihrer peinlichen Auseinandersetzung mit dem Captain geworden war und dieses Erlebnis nun unzweifelhaft unter der Besatzung der Dawnrazor breittrat.
Lana spürte einen leichten Stoß gegen ihre Seite. Dann schob sich langsam ein Helm in ihr Sichtfeld, aus dem ihr das Gesicht von Sergeant Ruiz entgegenblickte. Dank der integrierten Helmbeleuchtung konnte sie trotz ihrer Sehstörungen die Sorgenfalten auf seiner Stirn gut erkennen.
„Sie müssen aufhören zu hyperventilieren, okay? Atmen Sie langsam durch die Nase ein. Die Luft anhalten und danach kräftig durch den Mund ausatmen.“
Lana nickte kurz. Dann bemühte sie sich, ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie schloss die Augen und drängte ihre überschießenden Gedanken zurück.
Einatmen – eins, zwei, drei, vier, dann die Luft anhalten – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Ausatmen – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht. Und nochmal. Und nochmal.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verklang das Schrillen des Alarms. Vorsichtig öffnete Lana ihre Augen. Ihre Sicht klärte sich zunehmend, und das Display erstrahlte wieder in einem beruhigenden Grünton.
Lana räusperte sich verlegen. „Danke, Sergeant.“
Ein Grinsen formte sich auf dem Gesicht des Angesprochenen, der immer noch in seinem gepanzerten Gefechtsanzug direkt vor Lana schwebte.
„Kein Problem, Ma’am. Das kann jedem mal passieren. Weltraumspaziergänge sind eben nicht Ihre Kernkompetenz.“
Schlagartig wurde Lana sich wieder bewusst, wo sie sich befand. Ungesichert hing sie in der interstellaren Schwärze des Alls, umgeben von Kubiklichtjahren der nahezu absoluten Leere zwischen den Sternen, die nur hin und wieder von verlorenen Gasmolekülen und Staubteilchen auf ihrer immerwährenden Reise durch die Unendlichkeit durchquert wurde. Ihren einzigen Schutz gegen den qualvollen Tod der explosiven Dekompression bildete der dünne BioSuit. Und der begann schon wieder damit, sie mit nervtötenden Ansagen auf ihre steigende Pulsfrequenz aufmerksam zu machen.
„Ma’am, es sind nur 30 Meter bis zur chinesischen Sonde. Ich hake Sie an meinem Anzug fest und bringe uns mit den Steuerdüsen rüber.“
Lana spürte, wie der Sergeant ihren Körper an den Hüften packte und sie langsam herumdrehte. Der Sternenhimmel wanderte nach rechts, und ein paar Augenblicke später schob sich die Apparatur von links in ihr Blickfeld, deretwegen sie überhaupt hier draußen waren. Dann fühlte sie ein Klacken, als Ruiz ihren Anzug mit einem Karabinerhaken an seinem befestigte.
„Ich zünde jetzt die Düsen, Ma’am“, erklang seine beruhigende Stimme. „Wir schweben ganz gemütlich rüber. Kann gar nichts passieren.“
Lana konnte das Zischen der Manövrierdüsen über die miteinander verbundenen Anzüge wahrnehmen. Sie versteifte sich unwillkürlich, als sie den Schub fühlte, der sie unaufhaltsam näher an die Sonde heranbrachte, die immer größer wurde und schließlich ihr gesamtes Sichtfeld ausfüllte. Dann sah sie links und rechts von sich zwei Dampfwolken, als Ruiz Gegenschub gab und sie knapp einen halben Meter vor der Sonde zum Halten kamen.
„Punktlandung, Ma’am. Ich schlage vor, wir machen das Ding jetzt auf.“
Lana musterte das Gerät von oben bis unten. Die Sonde war grob raketenförmig und maß etwa drei Meter von der Spitze bis zu dem kleinen Triebwerk an der Unterseite. Der Durchmesser betrug knapp 80 Zentimeter. Umgeben war sie von zwei Ringen, an denen in regelmäßigen Abständen Parabolantennen angebracht waren.
Vorsichtig streckte sie die rechte Hand aus und ergriff den unteren der beiden Ringe an einer freien Stelle. Mit der Linken griff sie nach der Sicherungsleine. Sie schlang die Leine um das Metall und ließ den Karabinerhaken einschnappen.
„Alles klar, Sarge. Ich bin gesichert. Sie können mich jetzt losmachen.“
Ruiz seufzte. „Es heißt ‚Gunny‘, Ma’am, nicht ‚Sarge‘. Hatte ich Ihnen das nicht schon einmal erklärt?“
Die Ursache für das anhaltende Grollen in Lanas Eingeweiden wechselte nahtlos von latenter Angst zu mühsam unterdrückter Wut. Zuckersüß erwiderte sie: „Sicher, Sarge. Ich habe ein wirklich ausgezeichnetes Gedächtnis. Und jetzt öffnen Sie bitte den Verschluss.“
„Aye, Ma’am.“
Lana spürte, wie sich Sergeant Ruiz mit einem Ruck von ihr löste. Weiße Dampfwolken zeugten davon, dass er sich mit seinen Düsen in eine Position schräg hinter ihr brachte, aus der er jederzeit eingreifen konnte.
Langsam zog sich Lana um die Sonde herum. Ihr Blick glitt suchend über die abgestoßene, grau lackierte Oberfläche, an der sie keinerlei Hoheitszeichen entdecken konnte. Das hatte sie auch nicht anders erwartet. Was sie allerdings durchaus erwartet hatte, war die Wartungsklappe, die sich laut Geheimdienstberichten bei allen aktuellen chinesischen Sonden zwischen den beiden Ringen befinden sollte.
Die Klappe war nicht da.
Lana umrundete die Sonde ein zweites Mal in entgegengesetzter Richtung. Mit zunehmender Verzweiflung untersuchte sie die gesamte Oberfläche des Objekts. Doch sie fand nicht die Spur eines Zugangs.
„Verdammt!“, fauchte sie. „Das ist keine chinesische Technologie.“
„Und was jetzt?“, erklang Sergeant Ruiz‘ Stimme aus ihrem Helmlautsprecher.
„Keine Ahnung. Diese Bauart habe ich noch nie gesehen“, erwiderte Lana gereizt. Sie überlegte fieberhaft, bis sie von Ruiz aus ihren Gedanken gerissen wurde.
„Ma’am? Was sagten Sie nochmal, wo das Schiff registriert ist?“
„Ich sagte gar nichts. Aber der Heimathafen der Bailong ist Nairobi“, gab Lana zurück.
„Was, wenn die Ausrüstung der Bailong ebenfalls aus afrikanischer Produktion stammt?“, warf der Sergeant ein.
Groll stieg in Lana hoch. Was bildete der Kerl sich ein? Sie hatte immerhin fünf Jahre für Abteilung C gearbeitet, eine Organisationseinheit, die eng mit dem militärischen Auslandsgeheimdienst der Pan American States verbunden war. Wenn es eine solche Technologie in den von den Chinesen dominierten afrikanischen Staaten gäbe, dann wüsste sie mit Sicherheit davon!
Mit beißendem Ton erwiderte sie: „Ich hatte gar keine Ahnung, dass Sie Fachmann für geheime Tiefraumtechnik sind, Sergeant. Mir zumindest ist nicht bekannt, dass Kenia in dieser Hinsicht aktiv ist, auch wenn es zur CAF gehört. Aber vielleicht verfügen Sie ja über bessere Informationen als ich.“
Einige Augenblicke blieb der Funk still, dann meldete sich Ruiz wieder. Ruhig sagte er: „Ob Sie’s glauben oder nicht, Ma’am, das tue ich tatsächlich. Im Kongo gibt es nicht nur jede Menge Bodenschätze, sondern auch eine aufstrebende Technologiebranche, die von den Chinesen finanziert wird. Ist gar nicht so weit weg von Kenia. An Ihrer Stelle würde ich mal die zugangsbeschränkten Schiffsdatenbanken abfragen. Mit ihrer Sicherheitsfreigabe haben Sie darauf doch bestimmt Zugriff.“
Das hatte gesessen. Seit ihrem Rauswurf aus Abteilung C hatte man Lanas Zugang zu sämtlichen Verschlusssachen aufgehoben. Die geheimste Information, an die sie momentan herankam, war der Speiseplan der kommenden Woche in der Offiziersmesse. Und das auch nur, weil Lieutenant Lee, die aus unerfindlichen Gründen einen Narren an ihr gefressen hatte, ein gutes Wort für sie in der Küche eingelegt hatte.
Zorn und Rationalität rangen einen Augenblick miteinander, doch schließlich gewann die Vernunft wieder die Oberhand. Lana seufzte still.
„Touché, Sergeant“, sagte sie. „Könnten Sie Major Stryker kontaktieren und ihn bitten, die Baupläne sämtlicher bekannter afrikanischer Sonden in meinen Anzugcomputer hochzuladen?“
„Natürlich, Ma’am.“
Dankbar registrierte Lana, dass in Ruiz‘ Stimme fast gar kein süffisanter Unterton mitschwang.
Die Dawnrazor war nur eine Viertellichtsekunde von ihrer aktuellen Position entfernt. Bereits nach wenigen Sekunden erschien ein neues Icon in ihrem Head-up-Display. Sie öffnete die Datei und war überrascht von der Vielzahl der Pläne, die diese enthielt. Einen nach dem anderen ließ sie in ihr Visier einblenden und verglich die Risszeichnung mit der Sonde, an der sie sich noch immer krampfhaft festhielt. Bis endlich einer der Baupläne passte.
Lana schluckte, dann sagte sie: „Okay, Gunny, Sie hatten recht. Das Ding stammt tatsächlich aus Kinshasa.“
„Das zuzugeben ist Ihnen bestimmt schwergefallen, Ma’am.“
„Ach, halten Sie die Klappe. Helfen Sie mir lieber, den Kopf der Sonde zu demontieren. Eine dedizierte Wartungsklappe gibt es nämlich nicht.“
„Stets zu Diensten, Ma’am.“
Lana konnte das freche Grinsen des Sergeants beinahe hören. Vorsichtig schob sie sich in Richtung der Sondenspitze und griff nach ihrem Werkzeuggürtel.
Auf der ihr gegenüberliegenden Seite schwebte Ruiz in ihr Blickfeld. Er hielt bereits einen Universalschraubendreher in der Hand.
Gemeinsam lösten sie eine Schraube nach der anderen, bis sie die obere Verschlusskappe von dem raketenförmigen Rumpf abhebeln konnten. Darunter kam ein Gewirr von Drähten zum Vorschein.
Lana wollte gerade nach einem Kabelbündel greifen, um die Wartungsbuchse freizulegen, als der Sergeant abrupt ihren Arm zur Seite drückte.
„Was soll denn das?“, herrschte sie ihr Gegenüber an.
„Sehen Sie mal genau hin, Ma’am“, erwiderte Ruiz. „Unter den Kabeln verläuft ein Zugdraht. Ich wette, wenn Sie den berühren, fliegt uns das Ding um die Ohren.“
Lana zog eine Augenbraue hoch. „Sie glauben, die Chinesen haben die Sonde vermint?“, fragte sie überrascht.
„Wäre nicht das erste Mal“, gab der Sergeant zurück.
Vorsichtig hob er die Leitungen an und leuchtete mit seiner Helmlampe in die Öffnung.
Lana verfolgte den hauchdünnen Draht mit ihrem Blick bis zu einer kleinen roten Kapsel, die in einem grauen Klumpen an der Innenwand des Gehäuses steckte.
„Wir müssen an den Anschluss unterhalb des Zugdrahts“, sagte sie. „Können Sie das da entschärfen?“
„Standardzünder in einem Riegel Plastiksprengstoff. Zum Glück ist das nichts Ausgefallenes. Geben Sie mir eine Minute.“
Ruiz steckte seinen Schraubendreher weg und wählte eine kleine Spitzzange. Langsam zog er damit die Zündkapsel aus der grauen Masse heraus. Sobald die Kapsel frei war, durchtrennte er den Zugdraht vorsichtig mit einem Seitenschneider.
Instinktiv zuckte Lana in der Erwartung einer Detonation zusammen. Vor ihren Augen sah sie schon einen sich rasch ausbreitenden Feuerball, der die Sonde, Sergeant Ruiz und zum Schluss auch sie unbarmherzig zerfetzte.
Nichts geschah. Lana ließ den Atem schlagartig entweichen, den sie angehalten hatte, ohne es zu bemerken.
„Alles gut, Ma’am“, erklang die Stimme des Sergeants, während er ihr in die Augen schaute. „Das war’s schon. Sie können jetzt loslegen.“
Lana schluckte. Sie nickte in ihrem Helm. Dann verband sie ein Standarddatenkabel mit dem freigelegten Anschluss innerhalb der Sonde.
„Als Erstes beseitigen wir sämtliche Spuren unserer Anwesenheit“, sagte sie mit belegter Stimme, während sie mit der rechten Hand Befehle in das Touchpad auf ihrem linken Unterarm eingab.
Das von ihr aktivierte Skript analysierte das Betriebssystem der Sonde auf Schwachstellen und übernahm nach ein paar Sekunden die Kontrolle über deren Bordcomputer. Dann überschrieb es den Hauptspeicher des Geräts gleich mehrfach.
Lana ging lieber auf Nummer sicher. Sollte das Vorhaben scheitern, musste sie den Chinesen die Information, wer sich an ihren Gerätschaften zu schaffen gemacht hatte, ja nicht auf dem Silbertablett servieren.
„Schritt zwei: Wir sorgen dafür, dass die Sonde zukünftig weder irgendetwas aufzeichnen noch senden kann – abgesehen von ihrem Positionssignal. Wir wollen doch, dass die Chinesen sie wiederfinden. Und wieder einsammeln.“
Ihre behandschuhten Finger glitten noch einmal über das Touchpad und starteten ein weiteres Programm. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Gebannt verfolgte sie die Fortschrittsanzeige in ihrem Display, die ihr verriet, wie viel von ihrem Code bereits ausgeführt worden war.
„Und zum Schluss schleusen wir ein paar zusätzliche Befehle in die Steuerroutinen ein. Die aktivieren ein an diese Schnittstelle angeschlossenes Gerät, sobald der Drucksensor meldet, dass sich die Sonde wieder an Bord eines Raumschiffs befindet.“
Lana aktivierte das letzte Skript. Es zu schreiben war die bisher größte Herausforderung gewesen. Die Software war in der Lage, ein ihr völlig unbekanntes Steuersystem zu analysieren und im Anschluss zu infiltrieren. Dazu hatte Lana tief in ihre Trickkiste greifen und eine Menge Bibliotheken mit maschineller Intelligenz in ihren Hack integrieren müssen. Der benötigte auf diese Weise einiges an Speicherplatz. Doch dadurch konnte Lana die Sonde praktisch im laufenden Betrieb nach ihren Wünschen umprogrammieren.
Der Fortschrittsbalken war mittlerweile zu einer stattlichen Größe angeschwollen. Als er mit einem leisen „Pling“ die Einhundert-Prozent-Marke erreicht hatte, trennte Lana das Datenkabel von ihrem Anzug. Sie schloss stattdessen eine kinderfaustgroße Vorrichtung an, die sie vorsichtig unter die Kabelbündel im Inneren der Sonde schob. Mit dem Daumen betätigte sie einen Schalter auf der Unterseite. Sie nahm ein leichtes Vibrieren wahr. Nach ein paar Sekunden leuchtete eine rote LED auf.
„EMP ist scharf“, sagte sie. Dann atmete sie einmal tief durch.
„Operation gelungen, Sergeant. Sie können den Patienten jetzt zumachen.“
Während Ruiz die Verschlusskappe wieder auf das Gehäuse aufsetzte und eine Schraube nach der anderen festzog, fiel die eiserne Anspannung von Lana ab und wich einer fast euphorischen Hochstimmung. Sie hatte es geschafft! Also würde sie doch nicht im interstellaren Vakuum sterben.
Lana löste ihre Sicherungsleine, drehte sich von der Sonde weg und sah sich suchend nach dem Shuttle um, als plötzlich ein scharfer Schmerz durch ihren Oberschenkel fuhr. Sämtliche Anzeigen in ihrem Display sprangen auf Feuerrot, und der Alarm plärrte in ihren Ohren.
Panisch wand sich Lana in ihrem BioSuit, um einen Blick auf ihr Bein zu erhaschen. Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Der Anzug hatte sich an einer scharfkantigen Metallstrebe verfangen, dem Überbleibsel der Halterung einer abgerissenen Parabolantenne. Die Strebe war durch das angeblich so stabile mehrschichtige Gewebe des enganliegenden Raumanzugs hindurchgegangen wie ein heißes Messer durch Butter und steckte nun in ihrem Bein.
Lana biss die Zähne zusammen und blinzelte verzweifelt die Tränen weg, die sich in ihren Augen gebildet hatten. Sie verdrängte den Schmerz aus ihrem Bewusstsein und konzentrierte sich auf ihre Situation. Die BioSuits verfügten zwar nicht über die gleichen Selbstreparaturfähigkeiten wie die schweren Gefechtsanzüge der Marines. Aber wenn sie ihr Bein freibekäme, sollte der Anzug in der Lage sein, die beschädigte Stelle zumindest notdürftig zu verschließen. Der enganliegende Suit würde wie ein Druckverband wirken und die Blutung hemmen – sofern nicht gerade eine Arterie durchtrennt worden war. Dann zurück zum Shuttle, Rückflug zur Dawnrazor, ein kurzer Besuch auf der Krankenstation, und alles wäre wieder gut. Gar kein Problem. Easy peasy.
„Dr. Hayward, sind Sie in Ordnung?“
Der Sergeant kam langsam zu ihr herübergeschwebt.
„Was … oh, verdammt. Nicht bewegen, Ma’am, ich sehe mir Ihr Bein an.“
Doch Lana hatte gar nicht zugehört. Mit der linken Hand stützte sie sich an der Außenhülle der Sonde ab, während sie mit der rechten kraftvoll oberhalb der Eintrittswunde gegen ihren Oberschenkel drückte.
Die Qual war unbeschreiblich. Lana schrie auf und rutschte von der Sonde ab. Die Metallstrebe glitt mit einem Schmatzen aus ihrem Bein, was die Schmerzen noch vervielfachte. Ihr Blickfeld verengte sich, während sich das Weltall um sie zu drehen schien.
Doch in Wirklichkeit war es Lana, die unkontrolliert rotierte. Ihr Rückentornister schlug gegen die scharfkantige Strebe und der Schlauch zwischen ihrem Helm und dem Sauerstofftank riss auf. Das Lebenserhaltungssystem versiegelte den Anzug und pumpte Inertgas in den Helm, um den plötzlichen Druckverlust auszugleichen. Der Sauerstoffgehalt in ihrer Atemluft fiel ins Bodenlose, und der Druck des aus dem Tornister entweichenden Sauerstoffs katapultierte sie weg von der Sonde, weg von Sergeant Ruiz und dem Shuttle, weg von der Dawnrazor und weg von „alles wieder gut“.
Lanas Sinne schwanden allmählich, während die beschädigten Anzugsysteme in ihrem Todeskampf kreischten. Doch mit jedem Meter, den sie in den Tiefraum hinaustrudelte, flaute ihre Angst weiter ab. Eine unnatürliche Ruhe bemächtigte sich ihrer. Mit halbgeschlossenen Augen verfolgte sie das atemberaubende Ballett der Sterne, die für sie tanzten – für sie allein.
Allmählich ließ die Kakofonie der Alarmsignale nach und verklang. Die Schmerzen traten in den Hintergrund und lösten sich sukzessive auf. Lanas Gedanken zerflossen wie Schneeflocken in einer Pfütze und machten dem warmen Gefühl von Ruhe und Frieden Platz.
Bis auf ein undefinierbares Summen, das um Aufmerksamkeit heischend an den Resten ihres Bewusstseins kratzte. Lana kniff die Augen weiter zusammen und schüttelte leicht ihren Kopf. Doch das Geräusch war hartnäckig. Es ließ sich nicht vertreiben, sondern wurde sogar noch lauter.
„Lana? Lana!“
Dann spürte sie einen Schlag gegen ihren Rücken. Zwei Arme umfingen ihren Körper und hielten sie mit aller Kraft fest.
„Keine Angst, Lana! Ich hab dich! Ich hab dich.“