Diesen ikonischen Satz sagt ein kleiner Junge zu Neo, als dieser versucht, in der Matrix einen Löffel mit bloßer Willenskraft zu verbiegen, während er auf seine Audienz beim Orakel wartet. „Versuch nicht den Löffel zu verbiegen, das ist nämlich nicht möglich. Versuch dir stattdessen einfach die Wahrheit vorzustellen“, rät er Neo. „Dann wirst du sehen, dass nicht der Löffel sich biegt, sondern du selbst.“
Ob dieser Dialog nun hochphilosophisch ist oder ausgemachter Blödsinn, das sollen andere beurteilen. Ich persönlich finde diese Szene aus „Die Matrix“ grandios. Denn sie verdeutlicht sehr schön, wie wir immerzu versuchen, Probleme zu lösen, die gar nicht real sind. So wie der ewige Mythos von der Schreibblockade.
Ja, ich weiß, was du jetzt denkst. „Alter, du hast gerade einmal einen Roman geschrieben. Was weißt du denn schon vom Schreiben?“
Und du hast recht. Ich weiß noch lange nicht genug darüber. Aber eines ist mir mittlerweile klar geworden: So etwas wie eine Schreibblockade gibt es nicht.
Hast du schon einmal etwas geschrieben? Etwas, von dem (vorzugsweise andere) Leute gesagt haben, dass es „gar nicht mal so schlecht“ ist? Dann habe ich jetzt eine gute Nachricht für dich: Du kannst es wieder tun. Jederzeit! Du musst es einfach nur machen.
„Aber mir fällt einfach nichts ein! Ich starre stundenlang auf einen leeren Monitor. Und wenn ich dann etwas in die Tastatur gehackt habe, ist es nicht gut.“
Herzlichen Glückwunsch! Genauso funktioniert das Schreiben. Viele von uns (und auch ich) haben lange geglaubt, dass einen die Muse küssen muss, um etwas Gutes zu Papier zu bringen. Es braucht Talent und Inspiration. Und sobald beides zusammenkommt, fließen die Worte nur so aus den Fingern heraus und erzeugen ganz automatisch ein brillantes Meisterwerk. Oder?
Bullshit.
Bloß weil das Schreiben ein kreativer Prozess ist, wollen wir glauben, gute Prosa sei mühelos zu haben. Als wären Kreativität und Arbeit zwei verschiedene Paar Schuhe. Doch stattdessen sind es lediglich zwei Seiten derselben Medaille.
Vielleicht sollten wir uns von der Vorstellung lösen, das Schreiben sei reine Kunst. Vielmehr ist es ein Handwerk. Ein guter Autor verwendet – ebenso wie ein guter Handwerker – geeignete Werkzeuge, übt sich in verschiedensten Techniken und nutzt Tricks und Kniffe, um seine Kreativität in geordnete Bahnen zu lenken und so das gewünschte Ergebnis zu erzielen.
Ein Romanautor ist also eher Kunsthandwerker als Künstler. Und wenn er sein Handwerk beherrscht, dann ist er in der Lage, einen verdammt guten Roman zu schreiben.
James N. Frey beschreibt in seinem gleichlautenden Buch vier mögliche Ursachen für das, was er als Schreibblockade bezeichnet. Mangelnde Kenntnis der eigenen Romanfiguren, der Versuch, gleichzeitig zu schreiben und zu lektorieren, Angst vor Misserfolg und Angst vor Erfolg. Bereits in seinem Folgeband „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt 2“ stellt er eine andere Theorie auf. Dort vermutet er, eine Schreibblockade rühre von dem unbewussten Wunsch eines Autors her, ein Märtyrer zu sein.
Ich halte das alles für an den Haaren herbeigezogene Erklärungsversuche, die nur kaschieren sollen, dass wir uns einfach nicht dazu aufraffen können, unseren inneren Schweinehund zu überwinden. Uns hinzusetzen und zu schreiben, Tag für Tag, bis die Geschichte zu Ende erzählt ist.
„Das mache ich ja! Aber es kommt halt nichts dabei heraus.“
Tja. Von selbst sicher nicht. Schreiben ist ein Handwerk, du erinnerst dich? Und Handwerk besteht vor allem aus einem: aus Arbeit. Es bringt nichts, wenn du dich vor deinen Rechner setzt und nur den Bildschirm anstarrst. Deine Finger müssen schon ein paar Tasten drücken.
Okay. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es konkret werden sollte. Vielleicht bist du eines Morgens aufgewacht und hattest eine Idee, die dich nicht mehr losgelassen hat. Du hast dich hingesetzt und im Flow zweitausend Wörter einfach so heruntergeschrieben. Eine ganze Szene! Die Dialoge waren spritzig. Es gab jede Menge Konflikt. Und die Handlung knisterte nur so vor Spannung. Als du damit fertig warst, hattest du ein unglaubliches Hochgefühl. Und nun glaubst du, das müsse immer so sein.
Falsch.
Das war eine Szene. Eine. Von sechzig. Willst du jetzt warten, bis du das nächste Mal mit einer genauso phantastischen Idee aufwachst? Und du dich gerade gut fühlst, richtig Lust auf das Schreiben hast und kein anderer Termin ansteht? Was, wenn dazwischen ein Jahr liegt? Schiebst du es dann auf eine Schreibblockade? Vertrau mir: So wird das nichts.
Woher ich das weiß? Weil ich genauso angefangen habe. Ich hatte eine gute Idee. Die habe ich aufgeschrieben. Und dann gewartet, bis ich die nächste gute Idee hatte. Und Bock darauf, mich an die Tastatur zu setzen. So ist über ein Jahrzehnt ins Land gegangen, ohne dass mehr als ein paar Seiten dabei herausgekommen wären.
Deshalb haben viele gute Autoren eine feste Routine entwickelt. Ich durfte letztens bei einer Lesung Ursula Poznanski kennenlernen. Sie hat ein festes Schreibpensum. Jeden Tag schreibt sie tausend Wörter. Wörter, wohlgemerkt, nicht Worte. Und dann hat sie frei. Punkt.
Und wenn die Wörter nicht gut sind?
Das wird oft so sein. Vermutlich sogar an den meisten Tagen. Aber das ist völlig normal. Denn zum Schreiben gehört das Überarbeiten. In den seltensten Fällen ist die erste Fassung eines Textes bereits preiswürdig. Geschriebenes muss überarbeitet werden. Und erneut überarbeitet. Texte wollen geschliffen werden. Erst dann entfalten sie ihren Glanz – so wie Edelsteine.
Auch hier hat Ursula Poznanski eine gute Routine entwickelt. Eine, die ebenfalls viele Autoren beherzigen und die ich mir auch angewöhnt habe. Wenn ich mich zum Schreiben hinsetze, lese ich erst einmal das, was ich vorher geschrieben habe. Und fange an, es zu überarbeiten. Ergänze hier etwas, tausche dort eine Phrase aus, ersetze eine Wortwiederholung, poliere den Text ein wenig … und dann bin ich wieder im Flow und kann auch neue Sätze schreiben, einen neuen Dialog, die nächste Szene.
Und genau so werden aus Wörtern Worte.
Im Vorfeld brauche ich dafür zwei Dinge. Eine Idee für den Anfang und eine Vorstellung, wo die Reise hingehen soll.
Gerade die Phantastik-Autoren haben an dieser Stelle einen großen Vorteil. Sie müssen sich nämlich nur zwei einfache Fragen stellen, um eine Idee für einen neuen Roman zu entwickeln:
- Was wäre, wenn … ?
- Was würde dann passieren?
Schauen wir uns ein Beispiel an. Was wäre, wenn die Menschheit auf ihrem Weg zu den Sternen feststellen müsste, dass sie von lauter konkurrierenden Spezies umgeben ist, die untereinander erbittert um jede kolonisierbare Welt kämpfen? Nun, dann müsste sie kreative Wege finden, um den ständig benötigten Nachschub an Soldaten zu gewährleisten, die diese Kriege ausfechten können. Z. B. könnte sie junge, hochgezüchtete Klone produzieren, die mit dem Bewusstsein alter Menschen ausgestattet werden, denen ansonsten nur noch wenige triste Jahre im Greisenalter bleiben würden. Und schon haben wir die Grundidee für „Krieg der Klone“, John Scalzis erstem von einem Verlagshaus veröffentlichten Roman und eines meiner Lieblingsbücher.
Oder wie wäre es damit: Was wäre, wenn die ganze Galaxis von einer Kraft erfüllt wäre, die nur wenige dafür sensible Wesen anzapfen könnten und die diesen beinahe gottgleiche Fähigkeiten verleihen würde? Dann könnten sich die wohlmeinenden dieser Wesen zusammenschließen und ihre Fähigkeiten zum Nutzen aller einsetzen. Aber es würde auch immer diejenigen geben, die nach Macht und Größe streben und mit Hilfe ihrer Kräfte alle anderen unterjochen wollen würden. Und schon haben wir „Star Wars“.
Natürlich gehört noch viel mehr zu einer guten Geschichte. Du brauchst lebendige Figuren, die diese Geschichte vorantreiben, eine Grobstruktur, damit die Handlung auch irgendwo hin führt usw. Aber das ist das erwähnte Handwerkszeug, und damit wollen wir uns ein anderes Mal beschäftigen. Denn das Handwerkszeug kann man erlernen.
Für den Anfang soll uns die Erkenntnis reichen, dass uns nicht irgendwelche äußeren Umstände daran hindern, eine Idee in einen Roman zu verwandeln, sondern nur unsere eigene mangelnde Entschlossenheit. Und unsere angebliche Schreibblockade ist lediglich der Versuch, einer Konfrontation mit dieser unangenehmen Erkenntnis aus dem Weg zu gehen.
Also. Du hast eine Idee und einen groben Plan, wie daraus ein Roman werden könnte? Dann möchte ich zum Schluss noch eine andere ikonische Aussage aus dem Bereich der Phantastik zitieren: „Tu es, oder tu es nicht. Es gibt kein Versuchen.“
